Vorlesen fördert die soziale Kompetenz, kognitive Fähigkeiten und Kreativität

Die Kinder sitzen mucksmäuschenstill auf ihren Stühlen, erwarten mit Spannung die ersten Worte und Bilder einer neuen Geschichte. Sie wollen eintauchen in fremde Welten, liebenswerte Figuren und lustige Erlebnisse. Der Vorleser bzw. die Vorleserin beginnt zu lesen. Es wird ein einziges großes Abenteuer: Wir hangeln uns von Seite zu Seite, von Illustration zu Illustration, entdecken einen Cowboy, der Pferde doof findet, oder Schafe, die am liebsten Zitronenlimo und Kekse fressen, oder luftig-leichtes Wolkenbrot, das einen durch die Lüfte fliegen lässt.

In einem früheren Beitrag habe ich schon einmal über die Magie geschrieben, die wir erleben, wenn wir ein neues Buch aufschlagen, uns der Geruch des Papiers in die Nase steigt, die Farben und Formen unseren visuellen Sinn ansprechen. Und für Kinder ist auch heute noch, trotz der digitalisierten Welt, in der wir leben, ein Buch aus Pappe und Papier ein Erlebnis für alle Sinne.

Bücher sind ein Tor zur Welt

Geschichten ermöglichen es, miteinander ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen, sich über Probleme und Schwierigkeiten auszutauschen. In den Erzählungen erleben die Kinder Situationen aus ihrem Alltag und sehen, wie andere damit umgehen. Oder sie entdecken neue Welten und erweitern ihren Horizont, begleiten Löwen in der afrikanischen Savanne, Tiger im chinesischen Dschungel oder Juri, der zu den Sternen fliegt. In Büchern können Kinder Orientierungshilfen für ihre Entscheidungen und ihr Verhalten finden.

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Ein Beispiel ist das Buch „Gordon und Tapir“. Gordon, der Pinguin, und Tapir leben zusammen. Aber das ist manchmal ganz schön schwierig, denn Gordon ist furchtbar pingelig und ordentlich, Tapir dagegen liebt das Chaos und Parties mit Freunden. Eines Tages sagen sie sich die Meinung, was jeden am Anderen stört. Gordon greift daraufhin zu einem extremen Mittel: Er sucht sich eine eigene Wohnung und zieht aus. Aber er hinterlässt seinem besten Freund einen Brief und lädt ihn zu Besuch ein. Tapir zögert nicht lange und ruft Gordon an. Die beiden lernen, sich mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten zu akzeptieren und Freunde zu bleiben.

Solche Konflikte können auch innerhalb einer Familie, mit den Eltern und Geschwistern entstehen. Indem wir den Kindern solche Bücher vorlesen, können sie lernen, wie sie mit dieser Situation umgehen können. Und dass Andere auch anders sein dürfen und man trotzdem mit ihnen klarkommen kann.

Die Bedeutung von Gemeinschaft

Diese positiven Auswirkungen des Vorlesens wurden in der aktuellen Vorlesestudie der Stiftung Lesen 2015 wieder bestätigt. Noch eindrücklicher ist die Tatsache, dass die positive Entwicklung des Kindes unabhängig vom Bildungsabschluss der Eltern ist. Wenn Kindern täglich oder mehrmals pro Woche vorgelesen wird, entwickeln sie nachhaltige positive Verhaltensstrukturen. 93 Prozent der Kinder, denen regelmäßig vorgelesen wird, werden als fröhlich beschrieben, 75 Prozent als selbstbewusst. Dies ist nur bei 59 Prozent bzw. 44 Prozent der Kinder der Fall, denen selten oder nie vorgelesen wird.

Maedchen_zwischen_BuechernVorlesen schafft Gemeinschaft, einen besonderen Moment zwischen Eltern und Kind, Großeltern und Kind, Geschwistern usw. Es ist eine Zeit, in der man sich ganz auf den anderen konzentriert und einlässt. Die Studie hat herausgestellt, dass das Vorlesen soziale Beziehungen stärkt. Diese Kinder integrieren andere Kinder eher und schneller in die Gemeinschaft. Sie werden insgesamt als empathischer und sensibler beschrieben.

Der Kampf zwischen Gut und Böse

Ein häufiges Thema in Kinderbüchern ist Gerechtigkeit. Es geht um Helden, die schwierige Prüfungen bestehen müssen, um am Ende als Sieger hervorzugehen. Es geht um den Kampf zwischen Guten und Bösen und dem Wunsch der Kinder (und der Erwachsenen), dass das Gute siegt, dass Gerechtigkeit siegt. Dieser Sinn für Gerechtigkeit wird durch das Vorlesen gestärkt, wenn den Kindern täglich vorgelesen wird. Sie entwickeln Engagement, setzen sich für andere, für Schwächere, ein.

Auch die schulischen Leistungen sind bei Kindern, denen im jungen Alter oft vorgelesen wurde, wesentlich besser. Dies kann damit zusammenhängen, dass sie schon früh an das Medium Buch und Literatur im Allgemeinen herangeführt werden. Sie lernen, Zusammenhänge in Geschichten zu verstehen, Text und Bild miteinander in Beziehung zu setzen.

Kinder haben eine unglaubliche Kreativität, die durch das Vorlesen weiter gefördert werden kann. Fragen Sie Ihr Kind, bevor Sie die nächste Seite vorlesen, wie die Geschichte weitergehen könnte, oder wenn es um einen Schatz geht, was das Kind sich darunter vorstellt. Es gibt unzählige Möglichkeiten, das Vorlesen zu einem wahren Erlebnis werden zu lassen. So empfinden nicht nur die Kinder, sondern auch die Erwachsenen eine tiefe Freude an diesem Moment.

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