Charles de Gaulle, Präsident Frankreichs zwischen 1959 und 1969, sagte einmal: „Wie wollen Sie ein Land regieren, in dem es 258 Sorten Käse gibt?“ Zumindest kursiert dieses Zitat in vielen Varianten im Internet. Die Zahl der Käsesorten erstreckt sich von 248 bis 600. Dabei ist sich Marie-Vic Ozouf-Marignier, eine Forscherin an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS), gar nicht sicher, ob diese Worte jemals von De Gaulle so ausgesprochen wurden.
Doch dieses Zitat bringt interessanterweise eine politische Dimension zum Vorschein. Die Vielzahl der Käsesorten ist ein typisches Ausdrucksmerkmal der französischen Kultur: Einheit und Vielfalt. Seit jeher verfolgt Frankreich eine zentralisierte Politik mit Paris als Hauptstadt und Bauchnabel der Welt. Und doch sind die Regionen in ihrer Mannigfaltigkeit so reich: an Landschaft, an Kultur, an lokalen Dialekten und an kulinarischen Varietäten. Die Franzosen lieben ihre Landwirtschaft, ihre Agriculture. Individualität bedeutet ihnen viel. Sie sträuben sich gegen Standardisierungsversuche aus Brüssel und leben ihre regionalen Traditionen. Dazu gehört auch der Käse. Und der Wein.
Zertifizierte Qualität
Viele Sorten werden durch das Siegel AOC geschützt: Appelation d’origine contrôlée, kontrollierte Herkunftsbezeichnung. Wussten Sie, dass diese Erfindung aus Frankreich stammt? Sie wurde bereits im 15. Jahrhundert eingeführt, um die Erzeugung des Roqueforts, des berühmten Blauschimmelkäses, zu reglementieren. In der Folge diente das AOC-Siegel vor allem zur Kennzeichnung von Weinen. Heutzutage gehören 49 Milchprodukte, darunter größtenteils Käsesorten, zu den durch AOC geschützten Produkten. Insgesamt werden jedoch über 300 verschiedene Varianten im Land hergestellt. Schauen wir uns diese einmal genauer an.
Von Petit Suisse bis Vieux Comté
Grundsätzlich unterscheidet die Zunft die Käsesorten in vier große Gruppen, je nach Art der Herstellung. Erstens sind dies die Weichkäsevarianten, zweitens die Frischkäsevarianten, drittens die Blauschimmelvarianten und viertens die Hartkäsevarianten.
Weichkäse
Bei den Weichkäsesorten verwenden die Käsehersteller grundsätzlich Rohmilch, die weder erhitzt, noch gepresst wird. Die Rinde bei Maroilles, Pont-l’Evêque und Munster wird gewaschen und mit einer Salzlösung gebürstet, die mit bestimmten Bakterien versetzt ist. Dadurch entsteht das typisch orangefarbene Erscheinungsbild. Diese Varianten erkennt man ganz einfach an ihrem intensiven Aroma. Brie, Camembert und Neufchâtel gehören ebenfalls zur Gruppe der Weichkäse. Jedoch enthalten diese einen Pilz aus der Klasse der Penizilline. Dieser bildet sich zur bekannten flaumig-weißen Rinde heraus.
Frischkäse
Frischkäsesorten wie der Petit Suisse oder der Demi-Sel entstehen durch die Gerinnung von Milchproteinen, die von Milchsäurebakterien hervorgerufen wird. Sie haben nicht nur den geringsten Fettanteil, sondern auch den höchsten Wasseranteil unter den Käsesorten. Wir kennen sie als Naturfrischkäse oder Frischkäse mit Kräutern, Knoblauch, Feigen und Nüssen aus unseren heimischen Lebensmittelgeschäften.
Blauschimmelkäse
Was wäre Frankreich ohne seinen Roquefort, ohne den Bleu d’Auvergne oder die Fourmes d’Ambert? Um einiges ärmer an Käsesorten. Nachdem die Milch geronnen ist, wird sie ausgepresst, um sie vom überschüssigen Wasser zu befreien. Anschließend wird die Masse mit langen, feinen Nadeln durchstochen, die mit einem Pilz namens „penicillium glaucum“ versetzt sind. Während der Reifung entwickelt sich im Inneren der typische Schimmel mit seiner grünen oder blauen Marmorierung.
Hartkäse
Comté – einer meiner Lieblinge, Beaufort und Emmental bestehen aus einer Käsemasse, die nach der Milchgerinnung auf 55°C erhitzt und anschließend in Form gepresst wird. Während der Fermentierung, also des Reifeprozesses, „wachsen“ die beliebten Löcher. Allerdings nur bei den Sorten, die in warmen Kellerräumen reifen. An dieser Stelle muss ich Sie enttäuschen, es sind leider nicht – wie vielfach angenommen – die Mäuse, die die Löcher in den Käse fressen!
Ganz schön alt…
Sie haben es vielleicht in der letzten Überschrift bemerkt: Ich sprach vom Vieux Comté. Das hat mit dem Alter des Käses zu tun. Je nach Dauer des Reifeprozesses, der zwischen drei und neun Monaten oder mehr liegt, erhalten die Varianten unterschiedliche Bezeichnungen: jeune für das junge (Käse)Gemüse, entre les deux für das mittlere Alter und vieux für die Senioren unter den Käselaiben. Je älter ein Käse, desto mehr Charakter gewinnt er im Aroma und vor allem im Geschmack. Wie im wahren Leben, oder?
Hartkäsesorten aus Rohmilch
Cantal, Morbier, Ossau-Iraty, Raclette, Reblochon, St Nectaire und Tomme in allen seinen Variationen werden in die Gruppe der Hartkäsesorten aus Rohmilch eingeordnet. Ihre Herstellung ähnelt derjenigen der gekochten Hartkäsevarianten, jedoch wird die Masse nicht erhitzt. Dadurch verkürzt sich die Reifezeit erheblich. Sie liegt zwischen zwei Wochen und mehreren Monaten. Jede dieser Sorten verführt den Gaumen mit einem anderen, typischen Aroma. Morbier beispielsweise ist ein zart schmelzender Hartkäse. Ich finde seine Herstellung faszinierend, daher will ich etwas näher auf dessen Geschichte eingehen.
Der Ursprung des Morbiers und seines schwarzen Scheitels
Morbier wird seit dem 18. Jahrhundert in der Region Jura, nahe der Grenze zur Schweiz, hergestellt. Es handelt sich um einen Käse, der vor allem im Herbst und Winter produziert wurde. Die Käsemeister nutzten für diese neue Sorte einerseits die Techniken des Comtés, also das Erhitzen der Milchmasse, das Pressverfahren und die Reifung in Kellerräumen. Andererseits kam ihnen das Verfahren zur Herstellung von Septmoncel, einem Blauschimmelkäse, zu Gute.
Zwei Hypothesen stehen im Raum, die erklären könnten, wie der Morbier zu seiner für ihn charakteristischen raie noire kam. Die raie noire, auf deutsch schwarzer Scheitel, ist eine Schicht aus Asche, die sich horizontal durch den Käselaib zieht. Zum einen könnten sich die Blauschimmelpilze im Septmoncel nur ungenügend entwickelt haben. Das passierte manchmal.
Um die optische Aufmachung des Käses zu retten, versetzten die Käsebauern die Masse mit Tannenholzasche. Zum anderen reichte im Herbst und Winter die Milch eines einzelnen Tages oftmals nicht aus, um einen ganzen Laib Comté herzustellen. Also deckte man die erste Schicht der geronnenen Milch mit Asche zu, um sie vor Fliegen, Schimmel und Unreinheiten zu schützen. Am nächsten Tag füllte man die zweite Schicht Milch auf. Der Morbier war geboren.
Heutzutage haben sich die Herstellungsverfahren natürlich modernisiert, aber die alte Tradition des schwarzen Scheitels wurde beibehalten. Schließlich ist sie das Markenzeichen dieses Käses.
Kuh-, Schaf- und Ziegenmilch – Die Bedeutung der Zutaten
Ähnlich wie beim Wein kommt es bei der Käseherstellung nicht nur auf die Qualität der Grundzutat Milch an, sondern auch auf regionale Besonderheiten. Warum in einigen Regionen eher Käse aus Kuhmilch, in anderen aus Schafsmilch und in wieder anderen aus Ziegenmilch hergestellt wird, hat mit der dortigen Weidewirtschaft zu tun. Gerade im Mittelmeerraum, also in Südfrankreich, spielen beispielsweise Schafe und Ziegen eine entscheidende Rolle. Doch auch innerhalb einer Art haben Rasse, Alter, Ernährung, Umweltbedingungen sowie die Saison einen großen Einfluss auf die Qualität der Milch und der daraus entstehenden Produkte. Schafsmilch beispielsweise ist wesentlich fetthaltiger als Kuhmilch; sie enthält auch mehr Laktose. Die französischen Käsemeister stellen auch gern Varianten aus Ziegenmilch her. Sorten wie Selles sur Cher, Chabichou du Poitou oder Crottin de Chavignol haben Frankreich dazu verholfen, in Europa führender Produzent von Ziegenmilchkäse zu werden.
Probieren geht über studieren…
Es fällt mir wirklich schwer, in wenigen hundert Worten den Reichtum des französischen Käses zu beschreiben. Daher schlage ich vor, dass Sie sofort Ihren nächsten Wochenendurlaub in Frankreich buchen. Begeben Sie sich vor Ort in eine echte, ich betone ECHTE Käserei (also keinen Supermarkt) und lassen Sie dort Ihren Sinnen (und Ihrem Geldbeutel) freien Lauf. Qualität und Handarbeit sind ein wenig teuer, aber es lohnt sich. Holen Sie sich dazu ein frisches Baguette aus der Bäckerei und eine Flasche guten Wein. Setzen Sie sich in einen Park oder ans Ufer eines nahegelegenen Flusses und genießen Sie ein Stück französischer Lebenskunst. Bon appétit!
Ein Gedanke zu „Was wäre Frankreich ohne seinen Käse?“