Als ich vor vielen Jahren das erste Mal zu einem französischen Mittagessen eingeladen war, hatte ich nicht erwartet, dass man so viel Zeit mit einem einzigen Essen verbringen könnte. Wir fingen gegen Mittag mit dem Apéritif und kleinen Snacks an, dann kam die Vorspeise, das Hauptgericht, die Käseplatte, eine Torte und zu guter Letzt der Kaffee. Jeder Gang wurde natürlich vom passenden Wein begleitet. Was glauben Sie, wie lange das Essen gedauert hat? Eine Stunde, zwei Stunden, vielleicht sogar drei? Nein! Wir verbrachten ganze sieben Stunden zusammen. Dabei saßen wir nicht die ganze Zeit am Tisch, sondern standen auf. Wir unterhielten uns, besonders während der verschiedenen Gänge. Essen gehört in Frankreich zur Lebenskultur. Es steht für Genuss, Geselligkeit und das Miteinanderteilen. Wir Deutschen sitzen auch gern zusammen, aber meist essen wir erst und reden dann. Die Art der Zelebrierung von Gemütlichkeit ist eine andere.
Kleine Fische, großes Meer
Die französische Küche ist unglaublich reich und mannigfaltig. Pâtisseriekunst und Käsevielfalt sind nur zwei kleine Ausschnitte großer Gastronomie. Unzählige Küsten umgeben das Land: Im Norden grenzt Frankreich an den Ärmelkanal, im Westen an den Atlantik und im Süden ans Mittelmeer. Deshalb kommen Fisch und Meeresfrüchte viel öfter als in Deutschland auf den Teller. In speziellen Fischrestaurants kann man sich riesige kalte Platten mit Austern, Krebsen, Hummer, Garnelen, Miesmuscheln und Wellhornschnecken servieren lassen. Dazu werden Mayonnaise, bevorzugt hausgemacht, und eine Essigsoße mit Schalottenzwiebeln gereicht. Frisches, helles Brot und eine salzige Butter dürfen ebenso nicht fehlen. Doch auch Fischsuppe, die sogenannte Bouillabaise, gegrillte Sardinen und Jakobsmuscheln werden in ihren Herkunftsregionen und darüber hinaus gern verspeist. Allein um die Garnelen zu schälen und das Fleisch aus den Scheren des Hummers zu pulen, braucht man locker eine Stunde. Da bleibt ausreichend Zeit, um miteinander zu diskutieren, sich auszutauschen und das Essen gemeinsam zu genießen.
Global und regional
Schon im 16. Jahrhundert war die Cuisine Française weit über die Grenzen Frankreichs hinaus bekannt. 2010 erklärte die UNESCO sie zum Weltkulturerbe. Ihre Begründung: Die Cuisine Française sei die gebräuchliche Art, die wichtigsten Momente im Leben zu feiern. Doch nicht nur das Essen an sich wird gefeiert. Die Zubereitung der Speisen hat einen ebenso hohen Stellenwert. Zutaten werden sorgfältig ausgewählt. In den verschiedenen Gegenden des Landes kommen regionale Produkte zum Einsatz, wie der Lavendel in der Provence, der Piment d’Espelette im Baskenland, der Calvados in der Normandie, das Bresse-Hühnchen in der Bourgogne oder der Raclette in der Savoie. Paul Bocuse verglich einmal die Essenszubereitung mit einer Opernaufführung. Es ist ein Spektakel, bei dem jede einzelne Komponente stimmen muss.
Von morgens bis abends
Dabei beginnt der Tag meist recht dürftig, mit einem Croissant oder einem Baguette mit Marmelade, dazu ein frischgebrühter Espresso oder Café crème (Milchkaffee). Für den Hunger zwischendurch haben Bistros deftige Gerichte wie Croque Monsieur, Quiche Lorraine (Lothringer Speckkuchen) und überbackene Zwiebelsuppe auf ihrer Speisekarte. Der Croque Monsieur besteht aus zwei Toastbrotscheiben, zwischen die eine Scheibe Schinken gelegt wird. Zuoberst trägt der Koch eine Béchamelsoße und Käse auf. Das ganze wird dann im Ofen überbacken. Landet auf dem Toast auch noch ein Spiegelei, nennt sich das Gericht Croque Madame. Abends bleibt ausreichend Zeit für ein gemütliches, viele Stunden währendes Essen. In Kochzeitschriften finden sich ganze Menüpläne für die gesamte Woche – drei Gänge aus Vorspeise, Hauptgericht und Dessert sind Minimum. Sie bestehen aus Obst und Gemüse, Fisch, Geflügel und Fleisch von Rind, Kalb und Lamm. Natürlich werden gute Milchprodukte wie gesalzene Butter, Crème Fraîche und Käse verarbeitet. Die passende Weinempfehlung gehört wie der Topf auf den Deckel dazu.
Business ist nicht gleich Business
Auch bei Geschäftsessen merkt man den Unterschied zwischen Deutschland und Frankreich. Hierzulande gönnt man sich ein gemeinsames Mal, nachdem das Projekt besprochen und die Verträge unterzeichnet sind. Im Nachbarland dagegen wird während des Mittagessens der andere „beschnuppert“, man diskutiert über Kooperationen und spricht Verträge bereits mündlich ab. Der Rest ist manchmal reine Formalität. Kein Wunder, dass sich solche Arbeitsessen gern einmal über ein bis zwei Stunden hinziehen. Zu beachten ist hier beispielsweise, dass man nicht gleich bei der Vorspeise mit der Tür ins Haus fällt, sondern erst einmal Smalltalk macht, über Urlaub, Kinofilme oder Bücher. Erst mit dem Hauptgericht, wenn die Atmosphäre stimmt, wird es Zeit, über das Projekt, die Zusammenarbeit, das Investment zu sprechen. Weitere Tipps zu diesem Thema gibt es hier.